Seit 2006 verbringen jedes Jahr rund 50 Jugendliche aus der Region zum Beginn der Sommerferien ein Wochenende am Flugplatz Aachen-Merzbrück. Die Gruppe besteht aus Jungen und Mädchen ab 14 Jahren mit und ohne Behinderung, sowie aus Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund.

Zusammen nehmen sie am Flugbetrieb teil und haben die Möglichkeit, einmal in einem Segelflugzeug mitzufliegen. Zudem sind stets mehrere Sport- und Tanzgruppen zu Gast, wie der Aachener Capoeira-Club, die Rhönrad-Turner der RWTH oder ein Aachener Rap-Projekt.

Das integrative Jugendcamp wird im jährlichen Wechsel unterstützt von drei der zehn Städte und Gemeinden der Städteregion Aachen, seit 2009 auch grenzüberschreitend von der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens, sowie seit diesem Jahr von der niederländischen Stadt Kerkrade.


Das Ein- und Aussteigen bereitete ein wenig Probleme: Steffen Philippe holperte über die Wiese zum Flugzeug, parkte seinen Rollstuhl neben dem Cockpit, und mit ein wenig Hilfe wuchtete er sich auf den hinteren Sitz des Schulungsseglers. Was er aber dann erlebte, entschädigte ihn für die Mühen: “Es ist eine ganz neue Erfahrung – bis dahin war ich nur in Passagierflugzeugen geflogen. Im Segelflugzeug bekommt man viel direkter mit, was passiert. Man spürt, wie einen die Thermik nach oben trägt.”

Auch Felix Rößler strahlt heute noch, wenn er von seinem Segelflug erzählt, damals, an diesem Sommertag im stahlblauem Himmel und klarer Sicht: “Das war gigantisch! Man fühlt sich wie eine Möwe, die langsam zur Erde gleitet. Als ich das nachher meinen Freunden erzählt habe, ist denen die Kinnlade runter gefallen.” Für ihn war der Flug der Höhepunkt des Jugendcamps.

Vorher hatten alle Teilnehmer eine theoretische Einführung bekommen, auch eine Gefahreneinweisung, denn ein Flugplatz ist kein Spielplatz und es gibt Regeln, an die sich jeder halten muss. Doch für den Querschnittsgelähmten Steffen Philippe gehört das mit dazu: “Anfangs konnte ich mir nicht viel darunter vorstellen: Ein Jugendcamp auf einem Flugplatz. Dann aber war ich völlig begeistert. Die Stimmung war toll, es gab keinerlei Berührungsängste unter den Jugendlichen,” und Felix ergänzt: “Wir haben den Flugbetrieb live erlebt, den Tower besucht, und wir durften uns den Rettungshubschrauber ganz aus der Nähe anschauen.”

Damals haben sich Steffen und Felix kennen gelernt, vor drei Jahren war das. Eine Freundschaft hat sich daraus entwickelt, die bis heute hält. Beide würden gern wieder am Jugendcamp teilnehmen, aber klar: Andere wollen auch mal. Und die beiden mittlerweile 23-jährigen gönnen natürlich den Jüngeren das Erlebnis Jugendcamp.


Schade, dass so etwas bei Erwachsenen nicht so funktioniert!” – Hasan Arman ist immer noch fasziniert von dem Umgang der Teilnehmer beim Jugendcamp. Vier mal schon hat der 30-jährige Dozent beobachten können, wie sich innerhalb kürzester Zeit aus einem bunt zusammen gewürfelten Haufen Jugendlicher eine Gruppe formiert, die sich gegenseitig hilft und aufeinander aufpasst auf dem Gelände in Merzbrück: “So ein Flugplatz ist etwas völlig anderes als das, was die meisten Jugendlichen gewohnt sind. In anderen Jugendcamps ist es kaum möglich, so ein Gemeinschaftsgefühl zu erzeugen wie hier. Und der abschließende Flug mit dem Segelflieger ist der Kitt, der die Gruppe zusammen hält.”

Hasan Arman hat selbst nichts zu tun mit der Fliegerei, aber von Beginn an war er begeistert vom integrativen

Jugendcamp: Als er vor drei Jahren zum ersten Mal davon hörte, fuhr er nach Merzbrück, um es sich anzuschauen: “Ich wollte nur ein paar Stunden bleiben – es wurden drei Tage. Ich wollte gar nicht mehr nach Hause!” Er ist überzeugt, dass das Erlebnis Flugplatz den Teilnehmern eine Menge gibt: “Am ersten Tag sind da natürlich Berührungsängste. Man muss als Betreuer die Leute ein bisschen schubsen. Aber dann läuft die Sache von ganz allein und man kann zusehen, wie aus vielen kleinen Grüppchen eine große Gruppe zusammenwächst.”

Rekan ist Wiederholungstäter. Er bereut nichts. Und er wird es wieder tun. Beim ersten Mal war Rekan Rasho Hassan gerade mal 15 Jahre alt: 2006 kam er in das Integrative Jugendcamp nach Merzbrück, um mit anderen Jungen und Mädchen vier Tage auf dem Flugplatz zu verbringen, zu leben, zu spielen, im Schlafsack zu übernachten – und um im Segelflugzeug mitzufliegen: “Beim ersten Start hatte ich schon Angst,” gibt er unumwunden zu, “anfangs. Aber dann war es nur noch schön.”

Das erste Jugendcamp war auch das erste Mal, dass Rekan

mit Behinderten zusammen kam – und er war überrascht: “Es hat ein paar Stunden gedauert, bis ich mit den anderen warm wurde, aber dann war das Eis gebrochen,” sagt Rekan heute und grinst: “Ich hätte mir vorher nie vorstellen können, dass man mit denen so viel Spaß haben kann. Klar, die sind behindert, aber das merkt man nach kurzer Zeit gar nicht mehr.”

Für Rekan war dieses Erlebnis so schön, dass er im nächsten Jahr gleich noch einmal dabei sein wollte. Und es hat geklappt: “Wir haben Fußball gespielt, Nachtwanderungen gemacht und abends bis spät am Lagerfeuer gesessen und Geschichten erzählt.”

Auch in den beiden vergangenen Jahren war Rekan dabei – jetzt aber nicht mehr als Teilnehmer, sondern als Betreuer. In der Zwischenzeit hatte er eine Ausbildung zum Übungsleiter gemacht: “Das war natürlich etwas ganz anderes: Als Betreuer ist man abends der Letzte und morgens der Erste.” Viel Schlaf hat Rekan da nicht bekommen. Das hält ihn aber nicht davon ab, auch beim fünften Jugendcamp wieder mitzumachen. Schon jetzt freut sich der 19-Jährige auf “ein bisschen Stress – und ganz viel Spaß.”